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Demokratie in Deutschland 2011

Ohne Wiederbelebung des bürgerschaftlichen Engagements in Parteien droht eine weitere Verselbständigung der aus den Parteien hervorgehenden Berufspolitikerherrschaft in Deutschland. Ihr ist weder durch den Ausbau bürgerschaftlicher Selbstorganisation von Politik noch durch direkte Volksgesetzgebung effektiv beizukommen. Um der Berufspolitikerherrschaft demokratische Fesseln anlegen zu können, bedarf es in der Gesellschaft breit verankerter, direktdemokratisch organisierter Mitglieder- und Programmparteien, die einen wirksamen bürgerschaftlichen Partizipationskanal sicherstellen.

Partizipation und Engagementbereitschaft in Parteien

Bürgerschaftlichem Engagement in Parteien fällt bei der unmittelbaren Einflussnahme auf das politische Geschehen eine demokratische Schlüsselrolle zu. Es sind dauerhaft gemeinschaftlich in Parteien organisierte Aktivbürgerinnen und Aktivbürger, die substantiell den Kurs politischer Willensbildung mitbestimmen und über die Auswahl der politischen Entscheidungsträger im Politikbetrieb befinden.

Lebendige und breit in der Gesellschaft verwurzelte Mitgliederorganisationen der Parteien stellen einen mit der Zivilgesellschaft eng verbundenen Partizipationskanal dar. Über diesen lässt sich das Handeln der Politiker an vorgegebene programmatische Leitlinien und an die Wünsche der Wählerschaft binden. Hierdurch verwirklichen sich Parteiendemokratie und das Modell einer dem Wählerwillen gegenüber verantwortlichen Parteienregierung. Parteiendemokratie verbindet die Zivilgesellschaft mit dem staatlich verfassten politischen Bereich und kann so repräsentativ demokratische Elitenherrschaft sowie effektive Teilnahme und Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an der Politik ein Stück weit zusammenführen.

Die Parteien haben in den späten 1960er und 1970er Jahren eine einzigartige Mitgliederschwemme erlebt, die seit den 1980er Jahren stetig abebbt. Insbesondere in den 1990er Jahren setzte ein verlustreicher, chronischer Mitgliederschwund ein, der die Parteien mit der heute verbliebenen Zahl von 1,4 Millionen Organisierten an den Ausgangspunkt ihrer Eintrittsschwemme vor 40 Jahren zurückwirft. Nur noch zwei von 100 Bundesbürgern verfügen heute über ein Parteibuch. Ausbleibender Nachwuchs setzt die Parteien einem Überalterungsprozess aus und lässt sie organisatorisch sklerosieren. Die Mitgliederkrise der Parteien reicht mittlerweile so tief, dass um ihre gesellschaftliche Verwurzelung und um ihren Legitimationsanspruch zu fürchten ist, für die Bürgerinnen und Bürger als Sprachrohr und als Interessenvermittlungsinstanz auftreten zu können. Stärker noch indizieren Mitglieder-, Wähler- und Vertrauensschwund, dass repräsentativ demokratische Parteienherrschaft und Bürgerschaft von einer tiefen Beziehungskrise erfasst sind.

Für das bürgerschaftliche Fernbleiben von den Parteien wurde nach vielen Gründen gesucht. Die Verlagerung des politischen Engagements von dauerhafter und organisatorisch verfasster Partizipation in Großorganisationen hin zu direktdemokratischen, punktuellen und temporären Aktionsformen spielt dabei eine Rolle. Zwar ist nach wie vor ein stabiler Anteil von 15 Prozent der Bevölkerung einem Parteibeitritt zugeneigt. Dass sich unter den Beitrittsbereiten aber nur wenige zur Mitarbeit entscheiden, ist in erster Linie auf den massiven Attraktivitäts- und Wertschätzungsverfall der Mitgliedschaft in Parteien zurückzuführen. Der Trend hin zu Berufspolitikerparteien, in denen Mitglieder auf Pseudopartizipation und "Cheerleader"-Einsätze zurückgedrängt werden, ist dabei eine wesentliche Ursache. Doch auch die Partizipationsforschung hat zur Entwertung des Engagements in Parteien beigetragen, indem sie offen ihre Sympathie für die neueren, unkonventionellen und nicht verfassten Partizipationsformen bürgerschaftlichen Aufbegehrens bekundete. Das angespannte Verhältnis zwischen Parteien und Volk führt zu einer fehlenden Anerkennung und Wertschätzung der Parteimitgliedschaft und hält die psychologischen Hemmschwellen hoch, die die Bürger daran hindern, schlecht beleumundeten Organisationen wie Parteien beizutreten.

Bürgerschaftliches Engagement in Parteien ist für die parteiendemokratische Fesselung und Legitimation von Berufspolitikerherrschaft unverzichtbar und von einem dermaßen hohen Stellenwert, dass sie unbedingt revitalisiert und in ihrer alten Attraktivität wiederhergestellt werden muss. Ein erwünschtes Mehr an selbstorganisiertem bürgerschaftlichem Engagement und an unmittelbarer Volksgesetzgebung kann dabei jedoch das dauerhafte und effektive Einwirken von Parteimitgliedern auf die Kursbestimmung der Politik und auf die Elitenauswahl im Politikbetrieb nicht ersetzen. Der Austausch von Parteiendemokratie durch plebiszitäre Demokratie führt nicht zu direktdemokratischer bürgerschaftlicher Selbstorganisation von Politik, sondern zur medienzentrierten Berufspolitikerherrschaft, die sich der Fesselung durch Programm- und Mitgliederparteien entledigt. Eine Gefahr wäre so die Amerikanisierung der mediengelenkten Selbstrekrutierung von Berufspolitikern mit schwachen Parteien, die zu Serviceagenturen für "candidate-centered politics" degenerieren. Um dem vorzubeugen, müssen die "Mitmachanreize" der traditionellen Mitgliederparteien gestärkt werden. Parteien müssen sich zu offenen Plattformen des direktdemokratischen Bürgerengagements entwickeln.